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Realität in Nordmazedonien – und ein Traum

Das methodistische Diakoniezentrum «Miss-Stone» in Nordmazedonien versorgt täglich rund 250 Personen mit einer warmen Mahlzeit. Bei einem Besuch in der Schweiz berichtete der Leiter, Martin Konev, von den Herausforderungen und Freuden dieser Arbeit.
 
«Die meisten der Menschen, die wir versorgen, würden vermutlich sterben, wenn wir nicht da wären», sagt Martin Konev. Er ist Leiter des methodistischen Miss-Stone-Zentrums in Strumica, Nordmazedonien. Zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versorgt er fünfmal in der Woche rund 200 Personen in Strumica mit einer warmen Mahlzeit. Noch einmal 50 Personen werden im 40 Kilometer entfernten Radoviš mit Essen beliefert. Ein Hauspflegedienst und ein Sozialdienst sind weitere wichtige Arbeitszweige.
 
Ende November 2024 waren Martin Konev und seine Familie einige Tage in der Schweiz. Bei einem Besuch in Zürich erzählte Martin Konev im Rahmen eines öffentlichen Gesprächs aus seiner Arbeit.
 
Viele Menschen hätten keine Angehörigen, die sich um sie kümmern würden, berichtete Martin Konev. «Oft sind unsere Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter die einzigen, die zu diesen Leuten kommen.» Staatliche oder private Einrichtungen gebe es zwar einige wenige. Doch die Kosten seien hoch. Zu hoch. «Nicht alle Leute, die von uns unterstützt werden, erhalten eine Rente», sagt Martin Konev. Und jene, die eine Rente erhielten, bekämen oft nur wenig Geld.
 
Doch nicht nur von staatlicher Seite gibt es wenig Angebote. Auch andere kirchliche oder private Organisationen sind praktisch nicht tätig. «Die Orthodoxe Kirche hat gar keine entsprechenden Angebote. Die Caritas war früher einmal hier tätig.» Es komme zwar ab und zu vor, dass Nichtregierungs-Organisationen aktiv würden, dies aber nur für kurze Zeit. «Sie melden sich als Organisation an, erhalten staatliche Gelder, verteilen das Geld und verschwinden dann wieder.»
 
Anders das Miss-Stone-Zentrum. Seit über 20 Jahren gibt es die Einrichtung nun schon. Die Arbeit ist stetig gewachsen. «Wenn ich einen Bericht von dir bekomme, ist die Zahl der versorgten Personen jedes Mal höher», sagt Urs Schweizer. Zugleich stehe jedes Mal auch im Bericht, dass ist die Kapazität der Küche erschöpft sei. «Doch du schaffst es immer wieder, dass noch mehr versorgt werden können.»
 
Für ihn sei es sehr schwierig, sagt Martin Konev, wenn er höre, dass da ein Mensch sei, der nicht wisse, ob er heute Essen habe, ob heute überhaupt jemand vorbeikomme. «Was mache ich dann? Koche ich jetzt eine Portion mehr oder nicht? – Das ist eine schwierige, eine sehr schwierige Entscheidung.»
 
Der grossen Aufgabe stehen begrenzte Ressourcen gegenüber. Die Personalsituation ist permanent angespannt. «Als Land haben wir das Problem, dass die Jugendlichen auswandern», erläutert Martin Konev. Viele Unternehmen in Nordmazedonien suchen daher händeringend nach Arbeitskräften. «Wenn eine Firma Mitarbeitende sucht, erhöhen sie die Löhne. Die Leute gehen dann lieber dorthin.»
 
Angesichts dieser Lohnspirale ist das spendenfinanzierte Diakoniezentrum nicht konkurrenzfähig. »Die Leute, die bei uns bleiben, sind oft Personen, die nicht so schnell arbeiten. Bei anderen Firmen könnten sie die Anforderungen nicht erfüllen. Niemand will sie dort haben.»
 
«Was gibt euch die Kraft, diese Arbeit zu tun und nicht auch irgendwo hinzugehen, wo es mehr Geld zu verdienen gibt?», fragt Urs Schweizer. – «Ich sehe das nicht als ‹Arbeit›, sondern als meine Mission», antwortet Martin Konev. Nach einer Pause setzt er hinzu: «Die Verantwortung, die wir haben für die rund 250 Personen, die ist schon sehr gross.»
 
Sorgen bereitet ihm nicht nur die personelle Situation. Auch die Finanzen bereiten Not. Rund 250 000 Euro werden jährlich für die Arbeit des Miss-Stone-Zentrum benötigt. «Es wäre schön, wenn es eine Gewissheit gäbe: Wenn Leute spenden, dann tun sie das regelmässig über ein paar Jahre! Solch eine Sicherheit macht viel aus, wenn es um die Sorgen geht.»
 
Kraft und Hoffnung erhalten Martin Konev sowie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den Leuten, für die sie da sind: «Wenn die Leute strahlen oder vor Freude weinen.» Immer wieder geschehe es, dass Leuten schon beim Öffnen der Tür die Tränen kommen. Manche sagen: «Auch wenn ihr jetzt nichts für mich hättet, … nur allein, dass ihr jetzt hereingekommen seid und uns respektiert als Menschen, das genügt schon!»
 
Das sei aber nicht bei allen so, fügt Martin Konev mit einem Augenzwinkern hinzu. Es sei auch schon vorgekommen, dass sie weggeschickt wurden. Und da sei auch schon die Frage gewesen: «Wer bist du, dass du mir helfen willst? Mein einziger Sohn will mir nicht helfen. Aber du, du willst mir helfen!?»
 
Aber die Haltung derjenigen, die skeptisch seien, ändere sich im Laufe der Zeit. «Manche der Leute, denen wir helfen, sagen: ‹Ihr seid jetzt unsere Kinder!› Sie rufen bei uns an, wenn sie Probleme haben.»
 
Für die künftige Entwicklung des Diakonie-Zentrums hat Martin Konev einen Traum. «Schon seit ein paar Jahren habe ich den Wunsch, dass wir in der Nähe des Miss-Stone-Zentrums ein soziales Altersheim bauen können.» Dort könnten Menschen, die eine kleine Rente empfangen, einziehen. Das würde mehr Austausch und Miteinander ermöglichen. «Unser Angebot könnte so deutlich verbessert werden. Dann ginge es mehr um die Leute und ihre Bedürfnisse.» Jetzt müssten sie sehr viel Zeit einsetzen, um die Leute an ihren Orten aufzusuchen. Ein solches Altersheim würde auch die gesundheitliche Fürsorge verbessern und erleichtern.  «Aber ich weiss, dass das ein sehr grosser Wunsch ist.»
 
Autor: Sigmar Friedrich, Zürich