Stabil. Unverändert. Es sind solche Adjektive, die immer wieder zu hören sind, wenn die Koordinatorinnen für die Arbeit mit Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, die Lage in ihren jeweiligen Ländern einzuschätzen versuchen.
Es sind vergleichsweise wenige Menschen, die in diesen Tagen und Wochen neu in Polen, Tschechien, Ungarn oder Rumänien ankommen, um vorübergehend zu bleiben oder weiterzureisen. Auch in der Westukraine sei die Zahl der neu ankommenden Binnenvertriebenen auf relativ tiefem Niveau, so Yulia Starodubets, Pastorin der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) in der Ukraine. Und Kirsten Hastrup, die Assistentin des für die EMK in der Ukraine zuständigen Bischofs Christian Alsted, macht in den skandinavischen Ländern ähnliche Beobachtungen.
Stabil, unverändert – dies tönt erst einmal positiv, denn es bedeutet, dass viele Dinge zwar nach wie vor Kraft brauchen, aber eben auch in einigermassen geordneten Bahnen laufen. Viele Menschen, die aus der Ukraine in die Nachbarländer geflüchtet sind, haben inzwischen eine eigene Wohnung gefunden und eine Arbeitsstelle, und sie sind Teil der jeweiligen Gesellschaft geworden. Aber es bedeutet eben auch, dass sich die Situation in der Ukraine noch nicht so präsentiert, dass an eine Rückkehr im grossen Stil gedacht werden könnte. Friede, das Aufblühen neuen Lebens, der Beginn einer neuen Zukunft lassen noch auf sich warten. Denn der grausame Krieg, Zerstörung, Tod und Leid haben auch nach 14 Monaten noch kein Ende gefunden. Und Jana Krizova, Pfarrerin und Koordinatorin in Tschechien, wies in einem Online-Gespräch einmal mehr auf das hin, was sie immer wieder beobachte: dass viele sich an den Krieg gewöhnten.
Treue im Beten – Treue im Handeln
Sie sei von Herzen dankbar, so Jana Krizova, dass die Menschen in der EMK der unveränderten Situation nicht gleichgültig gegenüberstünden, sondern dass sie nach wie vor mit Empathie und Engagement täten, was nötig sei. Und dies ist in den übrigen Ländern nicht anders. Auch wenn vor allem Yulia Starodubets darauf hinwies, dass der Druck, der besonders auf jenen laste, die sich seit Beginn des Krieges für Menschen in Not einsetzen, da und dort zu gesundheitlichen Problemen führe. Und dass als Folge davon die Menschen, die helfen würden, selber psychologische und seelsorgerliche Hilfe benötigten.
Aber noch immer gehen das Gebet für Frieden, die Bitte um Schutz für die geflüchteten und vertriebenen Menschen und die konkrete Hilfe auf eine so wirksame wie ermutigende Weise Hand in Hand – egal ob in Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien oder der Ukraine selbst.
Hilfe konkret
- In Tschechien geht die Begleitung von Ukrainerinnen und Ukrainern, die im Land Zuflucht gefunden haben, weiter. In Zusammenarbeit mit Methodistinnen und Methodisten in der Slowakei werden sporadisch auch Hilfsgüter in die Westukraine gebracht. Schwerpunkt der Aktivitäten ist aber je länger desto mehr die Unterstützung zweier Organisationen in der Westukraine, die einen Ort der Zuflucht, der psychologischen Unterstützung und auch der allgemeinmedizinischen und chirurgischen Hilfe anbieten.
- In Rumänien sind die Gemeinschaftszentren mit ihren vielfältigen Angeboten zu einem wichtigen Anker für aus der Ukraine geflüchtete Menschen geworden so Sarah Putman, die als Koordinatorin tätig ist. Auch die regelmässige Organisation von Hilfstransporten in die Ukraine werde fortgesetzt.
- Solche Transporte gebe es auch nach wie vor in Polen, wie die Koordinatorin Szarlota Kaminska sagte. Allerdings sei der Umfang im Vergleich zum letzten Jahr spürbar zurückgegangen.
- Von zunehmender Bedeutung ist die Hilfe für traumatisierte Menschen. Dies ist in Rumänien so und erst recht in der Ukraine selbst. Die EMK in der Ukraine wird deshalb dank der Hilfe von UMCOR (United Methodist Committee on Relief) in Uzhhorod eine Liegenschaft kaufen, die Zufluchtsort für Binnenvertriebene werden soll sowie ein Ort der Erholung und der Gemeinschaft. Auch psychologische Unterstützung und Hilfe bei der Trauma-Bewältigung sollen dort angeboten werden.
- Die EMK in Ungarn setzt sich auf besondere und vielseitige Weise für Ukrainerinnen und Ukrainer ein, die in einem grossen Camp in der Nähe von Debrecen eine Bleibe gefunden haben. Auch Hilfstransporte würden weiterhin organisiert. Boglarka Khaled, die Koordinatorin der Arbeit, wies aber auch darauf hin, dass eine negative Entwicklung, zu welcher der Krieg in der Ukraine beiträgt, auf schmerzliche Weise längst auch die ungarische Bevölkerung erreicht habe: eine starke Teuerung, die viele materiell arme Menschen vor existenzielle Probleme stellt.
Trotz allem Hoffnung?
Es sind vielleicht gerade auch solche Entwicklungen, die dazu beitragen, dass die Bereitschaft zur staatlichen Hilfe nicht mehr uneingeschränkt ist. Was Jana Krizova für Tschechien nur als Inhalt von Gerüchten bezeichnete, ist in Rumänien schon Realität geworden: Die staatliche Unterstützung für Miete und Lebensmittel wird erheblich gekürzt oder im Mai 2023 sogar ganz eingestellt werden. Dies bedeutet, dass sich die aus der Ukraine geflüchteten Menschen erneut Gedanken darüber machen müssen, was sie tun sollen – ob sie bleiben können, wo sie sind, und andere Mittel zur Bezahlung finden, oder ob sie sich irgendwo eine günstigere Wohnmöglichkeit suchen müssen.
Und trotzdem: Auch wenn der Weg noch weit sein mag, und auch wenn noch so manche Herausforderung auftauchen wird – in den Berichten der Koordinatorinnen blitzt immer wieder auch eine Hoffnung auf. Eine Hoffnung, die ganz besonders in vielen international und mehrsprachig gefeierten Ostergottesdiensten genährt worden ist. Eine Hoffnung, die die Menschen auch über den Horizont des Erkennbaren hinaus auf Gott vertrauen lässt. Eine Hoffnung, die damit rechnet, dass das Leben siegen wird.
Zusammengestellt von Urs Schweizer, Assistent der Bischöfe Streiff und Zürcher, Zürich