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«Die Menschen haben sich daran gewöhnt, mit dem Krieg zu leben.»

In und ausserhalb der Ukraine wird der Krieg Teil des Alltags. Seine Schrecken verliert er dadurch nicht. Menschen der EMK in der Ukraine und in angrenzenden Ländern helfen auch weiterhin. Doch die Kräfte der freiwilligen Helferinnen und Helfer lassen nach.
 
Ein halbes Jahr dauert der Krieg Russlands gegen die Ukraine bereits an. Eine Zeit voller Zerstörung, Leid, Verzweiflung – und manchmal noch Hoffnung. Der Krieg sei irgendwie «Routine» geworden, Teil des Alltags, sagte Yulia Starodubets, die hauptsächlich mit Binnenvertriebenen in der Westukraine arbeitet, kürzlich in einem Online-Meeting. «Die Menschen haben sich daran gewöhnt, mit ihm zu leben.» Die Koordinatorinnen der methodistischen Arbeit mit Flüchtlingen in Polen und Tschechien, Szarlota Kaminska und Jana Krizova, schilderten die Situation in ihren Ländern mit ähnlichen Worten.
 
Auch wenn die Menschen in der Ukraine gelernt haben, mit dem Krieg zu leben, bleibt dessen unmenschliche Grausamkeit präsent. «Es gibt immer noch schreckliche Momente, in denen alle erschüttert sind», betonte Yulia Starodubets. Und angesichts der Notwendigkeit geht die Hilfe mit dem gleichen Engagement weiter wie bisher. Auch die Gebete für den Frieden reissen nicht ab. Nicht in der Ukraine. Nicht in den Nachbarländern.
 
Zugleich berichteten die Verantwortlichen von einer weiteren Beobachtung, die sich bei ihnen in ähnlicher Weise einstellt: Viele Helferinnen und Helfer seien erschöpft. «Zu Beginn des Krieges haben die Menschen getan, was sie tun konnten, so schnell und so gut wie möglich», sagte Yulia Starodubets. Daran habe sich grundsätzlich nichts geändert – nach all diesen Monaten täten die Menschen immer noch, was sie können. «Aber man kann beobachten, dass zum Beispiel diejenigen, die in den Unterkünften arbeiten, müde sind, weil sie schon so viel Arbeit geleistet haben.»
 
Mit ihrer Schilderung unterstrich Yulia Starodubets, was Ivana Prochazkova, Superintendentin der EMK in Tschechien, bereits im März 2022 ihren Helferinnen und Helfern ans Herz gelegt hatte: «Teilt eure Kräfte ein! Der Weg, den wir gehen, wird lang sein.» Selbstfürsorge sei daher entscheidend, so Yulia Starodubets. Zeit für sich selbst. Zeit für Ruhe inmitten des Sturms.
 
Insgesamt ist die Zahl der Flüchtlinge rückläufig. Dies gilt sowohl für die Westukraine als auch für die Nachbarländer. Zahlreiche Menschen wagen es, in die Häuser zurückzukehren, die sie vor Wochen oder Monaten verlassen haben. Umgekehrt sind nicht alle Unterkünfte, die derzeit ukrainische Flüchtlinge beherbergen, für den Winter nutzbar. Es ist daher dringend notwendig, Massnahmen zu ergreifen, um nicht in ein paar Monaten in eine schwierige Situation zu geraten.
 
In den Berichten der Verantwortlichen aus den an die Ukraine angrenzenden Ländern spiegelt sich eine weitere Realität: In den Grossstädten können Menschen aus der Ukraine, die längerfristig bleiben wollen, relativ leicht Arbeit finden. Der Wohnraum ist dort jedoch sehr teuer. In kleineren Städten oder Dörfern hingegen sind die Wohnungen zwar erschwinglicher, aber es gibt dafür kaum Arbeitsplätze.
 
Eine besondere Herausforderung zeigt sich auch bei der Bildung. In der Ukraine ist nur eine begrenzte Anzahl von Schulen geöffnet. Eltern wissen oft nicht, ob es sicher ist, ihre Kinder zur Schule zu schicken. In den Nachbarländern führt die Integration der ukrainischen Kinder zu grösseren Klassen und zu neuen Herausforderungen aus sprachlichen Gründen. In Rumänien arbeite man derzeit intensiv an der Eröffnung einer ukrainischen Schule, sagte Sarah Putman, Koordinatorin für die Arbeit mit Flüchtlingen in Rumänien.
 
Weiterhin finden aus verschiedenen Ländern Hilfstransporte in die Ukraine statt. Neben Gütern des täglichen Bedarfs werden immer wieder auch dringend benötigte Medikamente und medizinische Ausrüstung in die Ukraine gebracht.
 
An mehreren methodistischen Freizeitlagern in Polen, Tschechien, Ungarn und Rumänien nahmen nicht nur Personen aus den jeweiligen Ländern teil, sondern auch ukrainische Flüchtlinge. Es ist sehr ermutigend und hoffnungsvoll, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus der Ukraine Teil einer nachhaltigen Gemeinschaft werden können – und dass sie nicht nur ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen haben, sondern dass auch für ihre Herzen gesorgt wird.
 
Die Hilfsaktionen sind Anlass zu Dankbarkeit und Hoffnung. Olga, eine Frau aus der Ukraine, die jetzt in Tschechien lebt, sagte kürzlich über ihre Erfahrungen: «Die Tschechische Republik wird sich für immer in unsere Herzen und in die Herzen aller Ukrainer einprägen, weil sie uns freundlicherweise beherbergt, uns eine Pause von den Sirenen gegönnt und es uns ermöglicht hat, den Frühling und den Sommer dieses für die gesamte Ukraine schwierigen Jahres 2022 in Frieden zu verbringen.»
 
Autoren: Sigmar Friedrich, Zürich / Urs Schweizer, Assistent des Bischofs, Zürich
Bild: Screenshot aus einem Facebook-Video der EMK in Rumänien