Am 20. November 2022 wurde Stefan Zürcher zum neuen Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) geweiht. Im Interview spricht er über die besonderen Herausforderungen der aktuellen kirchlichen Situation in seinem künftigen bischöflichen Aufsichtsgebiet von Mittel- und Südeuropa, über eine Eigenschaft von ihm, die besonders hilfreich sein könnte, sowie über die Zukunft seiner Kirche.
«Bischof Stefan Zürcher», wie hört sich das an?
Noch sehr seltsam! Da brauche ich wohl noch 10 Jahre, bis ich mich daran gewöhnt habe… (lacht)
Deine Wahl als Nachfolger von Bischof Patrick Streiff erfolgte ohne vorangehende Nominierungen. Inwiefern hattest du dennoch damit gerechnet, dass du gewählt werden könntest?
Bereits vor ein oder zwei Jahren, als klar wurde, dass diese Wahl anstehen würde, gab es einzelne Personen, die auf mich zugekommen sind und mich gefragt haben: Könntest du dir das vorstellen? Seit sich abzeichnete, dass die Wahl jetzt im November stattfinden kann, haben sich diese Stimmen gemehrt. – Vor diesem Hintergrund war es offensichtlich, dass ich mich mit dieser Frage auseinandersetzen muss und will.
Der Wechsel im Bischofsamt erfolgt in für die EMK in Mittel- und Südeuropa turbulenten Zeiten. Worin liegen aus deiner Sicht die grössten Herausforderungen?
Eine Herausforderung ist sicher das Thema der menschlichen Sexualität, an dem sich zeigt, wie unterschiedlich unsere Überzeugungen sind, unsere Prägungen und die Kulturen, in denen wir aufgewachsen sind. Die wirken sich auch darauf aus, wie wir den Glauben verstehen und die Bibel lesen. Doch ist das nur ein Beispiel, an dem sich jetzt ganz deutlich zeigt, dass wir in unserer Zentralkonferenz schon immer in einer sehr diversen Situation sind. Im Umgang damit müssen wir Wege finden.
In den Diskussionen über die Vorlage des Runden Tischs war das darum auch die Grundfrage: Was gewichten wir höher, die Unterschiede – oder das Verbindende? Sagen wir: Wir wollen miteinander Kirche sein. Wir akzeptieren, anerkennen und respektieren die Vielfalt, die da ist. Aber das soll uns am Ende nicht trennen. Die gemeinsame Mitte, Christus, unser Glauben, der Auftrag aus dieser Gottesbeziehung heraus – das ist stärker und verbindet uns.
Den Entscheid, miteinander Kirche sein zu wollen trotz aller Unterschiede, nun in die einzelnen Jährlichen Konferenzen hineinzutragen und dort damit weiterzugehen, das ist nun die Herausforderung für alle, besonders für die Pfarrpersonen und Superintendentinnen und Superintendenten.
Und du als Bischof? Welche Fähigkeit oder Stärke von dir könnte sich in der aktuellen Situation als besonders hilfreich erweisen?
Zu meinen Stärken gehört meine vermittelnde Art. Das ist auch eine Rückmeldung, die ich von anderen erhalte. Ich kann Brücken bauen. Dazu gehört: Zuhören und noch einmal zuhören. Und ein weiteres Mal zuhören. Sich Zeit nehmen.
Ausserdem ist das Verkündigen des Evangeliums ebenfalls ein wichtiges Element meiner Art zu leiten. Ich denke, dass ich auch auf diese Weise Impulse geben kann. Also die Frage: Was sagt uns das Evangelium von Jesus Christus in dieser Situation? Woran können wir uns orientieren?
Dennoch wird es nicht möglich sein, einfach alle beieinander zu halten. Einzelne Teile der Kirche haben sich bereits getrennt. Vielleicht folgen weitere. Wie gehst du als Bischof damit um?
Hinsichtlich der kirchenrechtlichen Fragen bin ich da aktuell noch zu wenig in der Materie drin. Ausserdem sind das vielerorts bereits länger andauernde Prozesse. Im Blick auf diese ist die Frage, was ich beitragen kann, um Beziehungen stärken und einander gut verstehen zu können.
Mein tiefer Wunsch und meine Hoffnung sind, dass wir zusammenbleiben. Wo das nicht möglich ist, ist das gewiss mit Trauer verbunden. Dann geht es darum, einander auch frei zu geben, den Raum zu geben, um auch eine andere Entscheidung zu treffen. Es gilt, das zu respektieren – und einen guten Weg zu suchen, damit eine Trennung nicht in einer schwierigen Atmosphäre geschieht.
Jenseits der aktuellen innerkirchlichen Turbulenzen: Wohin wird die EMK sich entwickeln?
Ich kann das im Moment nur im Blick auf die Schweiz zu beantworten versuchen. Hinsichtlich der anderen Länder habe ich zwar das eine oder andere bereits gesehen. Dennoch weiss ich da noch zu wenig, um für diese Kontexte Aussagen machen zu können.
Für mich ist in diesem Zusammenhang das Bild der «Tischgemeinschaft» hilfreich: Wir haben bewährte Formen von Tischgemeinschaft, die wir in Gemeinden leben und aus denen viel Segen entsteht. Und es gibt neue Formen von Tischgemeinschaften.
Tischgemeinschaft hat für mich etwas Alltägliches. Man isst zusammen an einem Tisch. Es geht darum, dass wir den Alltag immer wieder mit Spiritualität verknüpfen und vom Glauben her gestalten.
Die Tendenz, dass unsere Gemeinden kleiner werden, wird sich vermutlich vorläufig nicht einfach umkehren lassen. Aber vielleicht ist das auch eine Chance für Menschen, die verbindliche Gemeinschaften suchen, wenn es uns gelingt, mit bewährten und neuen Formen solche Zellen von Gemeinschaft zu gestalten und auch neue zu bilden. Wichtig ist, dass diese Zellen miteinander in Verbindung sind.
Zunächst findet nun jedoch im Laufe des nächsten halben Jahres der Übergang statt. Was weisst du darüber schon: Wie werden diese Monate für dich aussehen?
Das geht schon in dieser Woche los: Ich werde zusammen mit Bischof Patrick Streiff an die Zentralkonferenz nach Deutschland fahren. Durch den Winter hindurch gibt es dann einige einführende Veranstaltungen vom Bischofsrat her. Wenn ab ca. April 2023 nacheinander die verschiedenen Jährlichen Konferenzen tagen, ist geplant, dass ich jeweils an die Tagungen mitfahre. Am Ende wird jeweils eine Übergabe der Verantwortung erfolgen. Ich werde dann noch ein wenig im jeweiligen Land bleiben und Menschen und Gemeinden kennenlernen.
von Sigmar Friedrich, Zürich
Foto: Jörg Niederer